Dreschflegel e. V.
Kulturpflanzen im Wandel - Klima im Handel (Autoren: Friedmunt Sonnemann & Stefi Clar)
Biosaatgut - für uns eine Herausforderung
Wer Gemüse im eigenen Garten kultiviert, betreibt damit aktiven Klimaschutz. Jeder Kohlkopf, jeder Arm voll Möhren, die nicht aus Spanien oder Italien heran transportiert wurden, sondern im eigenen Garten gewachsen sind, bedeuten eine Reduzierung des klimaverändernden CO2-Ausstoßes. Wer zudem noch ohne Mineraldünger und Biozide arbeitet, vermeidet damit weitere CO2-Quellen.
Klimawandel
Unglücklicherweise jedoch haben auch Menschen, die mit Saat und Ernte umgehen, unter den Folgen des Klimawandels zu leiden. Die hier und da vertretene Meinung, der Gartenbau ginge heute sonnigen Zeiten entgegen, da man bei uns künftig mehr wärmeliebende Pflanzen anbauen könne, die mit unserem derzeitigen Klima nicht zurecht kämen, kann wenig überzeugen.
Der in weiten Teilen Deutschlands verregnete Sommer 2007 hat uns wieder einmal gezeigt: Von einer kontinuierlichen Erwärmung kann zumindest in Mitteleuropa keine Rede sein. Nur die Extreme nehmen in jeder Hinsicht zu.
Global erwärmt sich heute die Erdatmosphäre 35 mal so schnell wie nach der letzten Eiszeit. Die Klimazonen haben sich während der letzten Jahrzehnte um ungefähr 200 bis 600 km von Süden nach Norden verschoben. Das lässt sich gut beobachten an den europäischen Arten der Eichengattung (Quercus), die alle dabei sind, ihr Areal nach Norden zu verlagern.
Mit der Erwärmung und der allgemeinen Schwächung der natürlichen Systeme nehmen Pilzkrankheiten an Pflanzen zu. Neue Insektenarten, wie die auch an Gurken parasitierende Baumwollblattlaus, kommen aus südlichen Ländern nach Mitteleuropa.
Falls jedoch der Golfstrom, welcher derzeit West- und Mitteleuropa warm hält, seinen Lauf ändern wird (und es gibt Anzeichen, dass dies bevorstehen könnte), wird es bei uns, trotz der globalen Erwärmung, kalt werden. Sollten gar die magnetischen Pole ihren Ort verlagern (immerhin nimmt das Erdmagnetfeld seit Jahren ab), so sind die Folgen für Mitteleuropa völlig unkalkulierbar.
Anpassung der Pflanzen
Die Fähigkeit der Pflanzen, sich auf neuartige Lebensbedingungen einzustellen, wird heute schon auf's Äußerste strapaziert. Können wir unseren Kulturpflanzen bei dieser schwierigen Aufgabe helfen?
Es kann nicht oft genug betont werden, wie wichtig es ist, dass in jedem Landstrich Menschen anfangen, wenigstens von ein paar Kulturpflanzensorten eigene Samen zu gewinnen und somit Mitverantwortung für unser kulturelles Erbe zu tragen. Eine Pflanze, die immer wieder am gleichen Standort vermehrt und angebaut wird, hat am ehesten eine Chance, sich den wechselnden Launen der örtlichen Witterung anzupassen.
Soweit die Gewinnung eigenen Saatguts nicht leistbar ist (und vermutlich ist sie das für niemanden bei all seinen/ ihren Pflanzen) ist es wichtig, dass die Elternpflanzen wenigstens aus ähnlichem Klima stammen und dass sie im Freiland vermehrt wurden und somit den wechselnden Wetterbedingungen ausgesetzt waren.
Konventionelles Saatgut wird wegen des milden Klimas und niedrigen Arbeitslöhnen meistens in Südeuropa oder Übersee vermehrt. Inzwischen trifft dies auch auf biozertifziertes Saatgut mehrerer AnbieterInnen zu. Für ein Überleben unserer Kulturpflanzen wird - mehr noch als in der Vergangenheit - Vielfalt von Nöten sein. Nur eine große Zahl regional angepasster Sorten, wie es sie in den vergangenen Jahrhunderten gab, wird den Kapriolen des Klimas gewachsen sein.
Aufbewahrung oder dynamische Vielfalt
Derzeit jedoch sind die meisten alten Regionalsorten nur noch in den Kühlregalen der Genbanken aufbewahrt (wenn überhaupt). Genbanken allein - so notwendig sie derzeit auch sind, um ein weiteres Aussterben alter Sorten zu verhindern - können aber dieses Problem nicht lösen.
Gelangt eine alte Regionalsorte nach 100 Jahren "Dornröschenschlaf" wieder in ihre alte Umgebung zurück, so ist sie im doppelten Sinne heimatlos: Erstens hat sie die Verbindung zu ihrer Ursprungsregion verloren, zweitens hat sie kaum etwas von dem Klimawandel der vergangenen Jahrzehnte miterlebt. Genbanken sind Flüchtlingslager, mehr nicht.
Aber auch die Vielfalt innerhalb einer Sorte ist wichtig. Ist eine Sorte gar zu scharf auf ein bestimmtes Merkmalsbild hin selektiert worden, so nimmt deren Möglichkeit ab, sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Bei einer wenig homogenen Sorte besteht eher die Chance, dass wenigstens einzelne Pflanzen sich anpassen können. Der Begriff "Sorte" darf nicht statisch verstanden werden. Sorten müssen dynamisch sein und sich den wandelnden Klimabedingungen anpassen.
CO2 - Handel und Ablass
Es scheint also, dass (nicht nur) uns als GärtnerInnen klimatisch turbulente Zeiten bevorstehen. Aber auch gesellschaftlich hat es der Klimawandel in sich: Auf internationaler Ebene wird zur Zeit ein System zum Handel mit CO2-Emissions-Zertifikaten, d.h. Rechten zur Verschmutzung der Atmosphäre, etabliert.
Das bedeutet zum einen die In-Wert-Setzung eines der letzten bisher der Allgemeinheit gehörenden Güter, der Atmosphäre (die nichtsdestotrotz auch heute schon als Müllkippe benutzt wird). Zum anderen ist bereits sichtbar, dass die Folgen dieses Systems die gesellschaftliche Spaltung weiter vergrößern werden, d.h. dass ärmere Menschen, vor allem die in den Ländern des Südens, die Hauptlast der Klimaveränderung und auch der Problemlösungsversuche tragen werden müssen.
Ein schon reales Beispiel: Eukalyptusplantagen als "CO2-Senken" bedeuten in vielen Fällen Landvertreibungen der ansässigen Bevölkerung sowie ökologische Verwüstung durch Monokultur und Zerstörung der Grundwasserressourcen. Ähnliche Beobachtungen gibt es auch für andere CO2-"Einspar"-Projekte. Auf der anderen Seite der Erde können die großen CO2-emittierenden Industrien ihre zerstörerische Produktionsweise unverändert fortsetzen, denn es gibt ja jetzt die "Senken"...
Mit diesem modernen Ablasshandel lässt sich trefflich das eigene "ökologische" Engagement bewerben. Ähnliche Strukturen finden sich bei den Themen Rehabilitation der Atomkraft und Biokraftstoffe/ Energiepflanzen als nachwachsende Rohstoffe (der Kritische Agrarbericht hat dieses Jahr hierzu das Schwerpunktthema "Landwirtschaft als Energieproduzent".
Gegenentwürfe zur Angst
Angst vor Katastrophen macht uns manipulierbar. Wie gehen wir mit der nicht unberechtigten Angst vor den unabsehbaren Folgen einer Klimaveränderung um? Ob sie in eine Stimmung des "Nach mir die Sintflut" umschlägt; ob sie benutzt werden kann, genau das Wirtschaftssystem weiter auszubauen und auf immer mehr Bereiche auszudehnen, das für das Klimaproblem verantwortlich ist; ob sie zu individualistischer Selbstbeschränkung und "die Welt retten wollen" führt; ob sie sich in Kritik an Herrschaft und in emanzipatorischen Gegenentwürfen äußert - die Entscheidung liegt bei uns.
Wie wäre es damit, die Angst in gedachte und versuchte Utopie zu wenden? Wie wäre es damit, im ganz Kleinen und Praktischen z.B. die Arbeit mit Vielfalt und Saatgut als einen positiven Bestandteil der eigenen Lebensentwürfe zu verstehen und als ein Stückchen Autonomie in einer immer stärker warenförmigen Welt?
Weitere Informationen zu Züchtung und Kulturpflanzenvielfalt:
Netzwerk Über-Leben e. V., Tomper Str. 29, 41169 Mönchengladbach, Homepage
Weitere Informationen zu Klimawandel sowie den sozialen und ökologischen Auswirkungen des Emmissionshandels:
Carbon Trade Watch, Transnational Institute, De Wittenstraat 25, 1052 AK Amsterdam, Niederlande, Homepage (englisch)