Dreschflegel e. V.
Saatgutkarawane
(Autoren: Sebastian Kußmann, Lea Burwitz, Laura Stecher und Matthias Stagge, 2017)
Eine Reise durch die gefährdete Vielfalt europäischer Getreidesorten
JungbäuerInnen der jAbL bereisten im Frühsommer Höfe mit vielfältiger Getreidearbeit in Deutschland, Frankreich und der Schweiz
Vielfalt in der Landwirtschaft ist in aller Munde, denn der Verlust an Biodiversität auf Äckern ist ein brisantes Thema. Dabei geht es unter anderem um die Verfügbarkeit von Sorten, die an den Standort angepasst und unverzichtbar für die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von BäuerInnen sind.
Während auf dem (ökologischen) Obst- und Gemüsemarkt die regionalen und alten Sorten vereinzelt wieder Verbreitung finden und für ErzeugerInnen positiv für die Vermarktung sein können, steckt diese Entwicklung bei Getreide noch in den Kinderschuhen. Wer achtet beim Kauf von Brot schon auf die Dinkel-, Roggen- oder Weizensorten, die in der Backware stecken?
Für viele von uns ist es einfach nicht realisierbar, einen halben Hektar für den eigenen Getreideanbau zu bewirtschaften, geschweige denn die notwendigen Maschinen zum Anbau, zur Ernte und zur Reinigung zur Verfügung zu haben.
Das könnte ein Grund dafür sein, dass Getreide eine eher „charakterlose“ Feldkultur zu sein scheint, bei der Sorten zwar in Bezug auf Resistenzen und Qualität eine Rolle spielen, nicht aber was den Geschmack und die Vielfalt angeht.
Wir als KosumentInnen oder GärtnerInnen kommen selten direkt mit dem Getreide in Berührung, können keine Beziehung zu den vielen Getreidesorten aufbauen, wie es mit der selbst angebauten, saftigen und angenehm säuerlichen Tomate wahrscheinlich der Fall ist.
Wie vielfältig und spannend Getreideanbau aber sein kann, haben wir – zwanzig (angehende) Jungbäuerinnen und Jungbauern der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) – auf einer zehntägigen Tour zu Höfen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich im Juni 2016 erlebt.
Das Ziel vor Augen: Eine Karawane zur Saatgutsouveränität...!?
In einem mehrtägigen Einführungsseminar zu rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Hintergründen des Saatgutmarktes wurde uns zunehmend bewusst, in welchem Spannungsfeld wir uns mit dem Thema Saatgutsouveränität bewegen würden.
Vielfalt, ja, die wollen alle! Doch in einem System, das der Logik der reinen Sorten und der intensiven Produktionssysteme folgt, scheint die Vielfalt auf dem Acker nicht nur überflüssig, sondern sogar unerwünscht zu sein.
Gesetze und Institutionen schaffen Bedingungen, unter denen Bauern kein eigenes Saatgut mehr vermehren und auf den Kauf von zertifiziertem Saatgut angewiesen sind. Saatgutsouveränität adé!?
Nach diesen ersten Eindrücken wurde uns klar, dass die Saatgutkarawane kein einmaliges Event bleiben durfte. Das in den kommenden Tagen erworbene Wissen würden wir in einer Dokumentation festhalten, verbreiten, und wir würden selber im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv werden. Wir wollen weiteren Bäuerinnen und Bauern das Handwerk der eigenen Saatgutproduktion ans Herz legen.
Außerdem ist es uns ein Anliegen, über bäuerliche Saatgutarbeit und Sortenvielfalt aufzuklären und unsere Empörung über die bestehenden gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen in unser Umfeld zu tragen.
Aufbruch aus der Wüste genetischer Einfalt
Für den Handel zugelassene Sorten, von der modernen Pflanzenzüchtung entwickelt, müssen laut Saatgutverkehrsgesetz unterscheidbar, beständig und homogen (einheitlich) sein.
Während der Tour besuchten wir zwölf Höfe und Züchterinitiativen, die mit ihrem eigenen bäuerlichen Getreidesaatgut arbeiten. Bäuerliches Saatgut, das sind häufig lokal angepasste Sorten und Mischungen, die den Standortansprüchen gerecht werden und die mit Vielfalt auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren können.
Im Unterschied zu den wenigen weit verbreiteten und zugelassenen Sorten tragen diese oft die ganz persönliche Handschrift des Standortes und Hofes, auf dem sie entwickelt wurden. Über ihre lokale Anpassung hinaus haben sie meist besondere Back-, Nähr- und Geschmacksqualitäten und können sich durch ihre gute Verträglichkeit für die menschliche Verdauung auszeichnen.
Erhaltungssorten: Oase in Sicht?!
Vor wenigen Jahren hat die EU das Saatgutrecht (endlich) ergänzt und neue Richtlinien für sogenannte Erhaltungssorten für Gemüsearten und für landwirtschaftliche Arten eingeführt.
Im Gegensatz zu Gemüsearten ist es bei landwirtschaftlichen Arten nicht möglich, Amateursorten anzumelden. Ziel dieser Erhaltungssortenrichtlinie ist offiziell, die Abnahme der Sortenvielfalt aufzuhalten. Sie ermöglicht das Inverkehrbringen von bestimmtem Saatgut unter einfacheren Bedingungen als im regulären Saatgutmarkt, und macht es dadurch BäuerInnen zum Kauf verfügbar.
Allerdings muss für eine Erhaltungssorte eine Ursprungsregion definiert werden. Nur in dieser Region darf das Saatgut vermehrt und vermarktet werden. Alle Erhaltungssorten zusammen dürfen nicht mehr als 10% des Marktanteils am Saatgut einer Ackerfrucht haben.
Der Gesetzgeber sorgt also weiterhin dafür, dass bäuerliches Saatgut keine ernstzunehmende Konkurrenz zur vorherrschenden Saatgutindustrie darstellt und lässt Vielfalt auf „Sparflamme köcheln“.
Erhaltungssorten in der Praxis
Einige Züchtungsinitiativen, darunter biologisch-dynamische GetreidezüchterInnen, konnten die Erhaltungssorten-Regelung nutzen, um lokal entwickelte Weizensorten für den Ökolandbau auf den Markt zu bringen.
Um diese Sorten herum sind interessante und mittlerweile etablierte Projekte, wie ein Regionalsortenprojekt um den Bodensee, entstanden. In dem Projekt werden regionale Weizensorten per Selektion bearbeitet und in Kooperation mit LandwirtInnen angebaut.
Das Mehl dieser Sorten wird teilweise in regionalen Bäckereien verbacken, und die KundInnen können Brot aus diesen Sorten vor Ort kaufen. Um diese Arbeit zu finanzieren, wurde u. a. das Modell des Züchtungs-Cents entwickelt: Beim Kauf eines Brotes geht ein kleiner Betrag direkt in die Finanzierung der Entwicklung der Getreidesorten.
Wenn vor Ort keineR “Regionalsorten-Brot” backt, kann zumindest beim Kauf von Mehl auf Mühlen zurückgegriffen werden, die im Bereich Sortenentwicklung aktiv sind. Hierzu zählen vor allem „Verbands-Bio“ Mühlen.
Ein Blick in die Ferne: Populations-Getreide oder (R-)Evolutionsramsche
Auf dem Dottenfelderhof nahe Frankfurt und auf Höfen in Frankreich bekamen wir Einblicke in eine weitgehend unbekannte, aber zukunftsträchtige Möglichkeit, vielfältige Getreidesorten auf dem eigenen Hof zu entwickeln und an den Standort anzupassen – sogenannte Populationen oder “Evolutionsramsche”.
Ein „Evolutionsramsch“ ist eine Vermehrungsgemeinschaft, die aus vielfältigen Linien besteht und während des gesamten Züchtungsprozesses zusammen angebaut und bearbeitet wird. Ausgangspunkt für die Linien sind mehrere Kreuzungen, deren Nachkommen dann über Jahre nachgebaut und vom Standort „selektiert“ werden.
Der kleinflächige und hofeigene Nachbau ist unter den aktuellen ökonomischen Zwängen auf Höfen schwierig. Häufig fehlen passende Ernte- und Reinigungsmaschinen, was den Nachbau zusätzlich erschwert.
Doch konnten wir während der Karawane erleben, wie Bäuerinnen und Bauern in „bäuerlicher Selbsthilfe“ gemeinsam Saatgutaufbereitung auf ihren Höfen umsetzten. Viele der besuchten Höfe in Frankreich haben kleine Maschinen zur Saatgutaufbereitung, teilweise von der Bäuerin oder dem Bauern selbst gebaut. Auch kleine Mühlen stehen zur Verfügung, die eine hofeigene Verarbeitung des Getreides ermöglichten.
Seit diesem Jahr ist es möglich, Populationen bzw. „Evolutionsramsche“ im Rahmen eines zeitlich befristeten Versuchs der EU beim Bundessortenamt für eine Zulassung anzumelden. Das Saatgut von derartigen Züchtungen kann offiziell vermarktet werden. Damit muss in den Handel gebrachtes Getreidesaatgut derzeit nicht mehr zwingend von einer homogenen Sorte stammen.
Lokale, standortspezifische Mischungen
Im französischen Netzwerk „Réseau Semences Paysannes“ arbeiten Bäuerinnen und Bauern außer an Populationen gemeinsam an der Entwicklung vielfältiger Getreide-Mischungen. Die Mitglieder des Netzwerkes haben das langfristige Ziel, ihr gesamtes Saatgut auf Höfen des Netzwerks zu entwickeln, um unabhängig von externer Saatgutproduktion zu werden.
Die Mitglieder des Netzwerks erhalten auf ihren Höfen bis zu hundert verschiedene Sorten in kleinen Parzellen. Auf größeren Schlägen bauen sie eine Mischung aus Teilen dieser Sorten und Linien an, die sie über das Jahr beobachten, ernten und vermarkten.
Saatgut wird als Teil der Ernte selber aufbereitet und nachgebaut. Nach Bedarf verbessern sie die Mischung, indem sie Saatgut von einzelnen der hundert in Kleinparzellen vermehrten Sorten mit bestimmten Eigenschaften zum nachgebauten Saatgut zumischen.
Zusätzlich zum alltäglichen Austausch finden Treffen aller Bäuerinnen und Bauern des Netzwerks und jährliche Hofbesichtigungen bei einzelnen Mitglieder statt. Dabei werden Saatgut der Mischungen und Erfahrungen ausgetauscht.
Das Saatgut verbleibt innerhalb des Netzwerkes, wird also offiziell nicht in Verkehr gebracht – und so unterliegen Sorten und Saatgut nicht dem Anwendungsbereich des Saatgutrechts. Ergebnis dieser Arbeit sind lokale, an den Hof angepasste Mischungen und die Fähigkeit der BäuerInnen, eigenständig Saatgut zu entwickeln und nachzubauen.
Alternative Saatgutquellen
Ziel aller besuchten Höfe und Züchtungsinitiativen sind viele selbstorganisierte, regionale Saatgut-Initiativen. Diese gibt es bei Weitem noch nicht überall, folglich ist der Umfang an regionalem Saatgut noch sehr gering.
Hinzu kommt, dass nur Erntegut von zugelassenen Sorten, Erhaltungssorten, Populationen und anerkannten Feldbeständen als Saatgut verkauft werden darf. Das Sortenzulassungsverfahren ist wegen der saatgutrechtlichen Restriktionen allerdings zeitaufwendig, erfordert Fachwissen und ist damit für einen Hof schwierig umzusetzen.
Saatgut von zugelassenen Erhaltungssorten und Populationen kann in Deutschland erst seit sehr kurzer Zeit bei Züchtungsinitiativen und -unternehmen gekauft werden. Vielen Bäuerinnen und Bauern ist diese alternative Saatgutquelle noch nicht bekannt.
Wenn mehr und mehr Höfe dieses Saatgut nachfragen, wird die Menge an Saatgut aus alternativer Saatgutarbeit in Deutschland steigen und die regionale Züchtung langfristig gefördert.
Getreidevielfalt für die Zukunft?
In zehn Tagen wurde uns deutlich, wie wichtig kleinbäuerliche und dezentrale Saatgutarbeit mit Getreide ist. Wir sprachen mit zahlreichen Bäuerinnen und Bauern, Initiativen und Instituten, die genau dies tun. Alle auf ihre eigene Art, mit dem, was bei gegebenen Rahmenbedingungen (oder sollen wir sagen: Standortbedingungen), der Kreativität und dem Handwerk, die sie selbst mitbringen, möglich ist.
Eines jedoch haben sie alle gemeinsam: Angesichts der Dominanz der Saatgut-Industrie, gefördert durch die einschränkende Saatgutgesetzgebung und die bestehenden Institutionen, ist die Zusammenarbeit verschiedener Höfe und die gemeinsame Nutzung von Maschinen zur Aufbereitung und Reinigung eine zukunftsweisende Möglichkeit, bäuerliche Alternativen zum konzentrierten Saatgutmarkt aufzubauen und Sortenvielfalt weiterzuentwickeln. Zusammenarbeit und Austausch war auf allen Höfen ein wichtiger Bestandteil des Erfolges.
Es braucht in Europa wieder mehr Höfe, die Lust auf eigene Saatgutarbeit mit Getreide und eigenen Nachbau sowie den Mut haben, damit zu beginnen. Und es braucht KonsumentInnen, die gezielt nach solchen Produkten suchen und politisch aktiv werden.
Der Beginn einer langfristigen Arbeit an eigenen Vielfaltsgetreiden kann ein halber Hektar mit gekauftem Saatgut eines Population-Vielfaltsweizens oder einer Erhaltungssorte sein. Fortgeschritten könnte es der Aufbau eines Netzwerkes sein, in dem das Saatgut unabhängig von rechtlichen Vorgaben innerhalb der Gemeinschaft entwickelt und weitergegeben wird.
jAbL
Die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (jAbL) ist eine Gruppe junger Bäuerinnen und Bauern, GärtnerInnen, ImkerInnen und anderer Menschen aus dem landwirtschaftlichen Umfeld, die gemeinsam zu agrarpolitischen und bäuerlich- praktischen Themen arbeitet.
Die jAbL bringt sich aktiv in die Politik ein und möchte mehr Menschen für die Belange der Landwirtschaft sensibilisieren. Selbstbestimmtes Handeln auf den Höfen sieht die jAbl als wesentliche Voraussetzung für die Landwirtschaft.
Unter dem Kulturbegriff „bäuerlich“ verstehen die Mitglieder, dass Gemeinsinn sowie ein respektvoller Umgang mit Mensch, Tier und Pflanze unser wirtschaftliches Handeln in der Natur leiten.
Die Herausforderungen der Zukunft können ihrer Meinung nach nicht industriell gelöst werden, sondern nur durch kleinstrukturierte, regional angepasste Wirtschaftsweisen.
Weitere Infos unter: www.junge-abl.de
Getreide-Saatgut aus alternativer Züchtung ist u.a. erhältlich bei:
Réseau Semences Paysannes (Frankreich)
Keyserlingk-Institut (Bodensee)
Forschung und Züchtung Dottenfelderhof (Frankfurt)
Getreidezüchtung Darzau (Wendland)
Getreidezüchtung Peter Kunz (Schweiz)