Dreschflegel e. V.
Saatgut im Paragrafenwald
Wer Saatgut zu gewerblichen Zwecken in Verkehr bringen will, muss eine Reihe von rechtlichen Vorschriften beachten. Diese sind EU-einheitlich geregelt, gelten in ähnlicher Form aber auch in vielen anderen Staaten.
Zum einen muss Saatgut bestimmte Anforderungen an Keimfähigkeit, Reinheit und Anteil abweichender Samen erfüllen, es sei denn, es stammt von wenig genutzten Arten, wie Einkorn, Spargelerbse oder Guter Heinrich. Diese fallen unter keine saatgutrechtlichen Regelungen.
Zum anderen muss zuvor jede Sorte einer saatgutrechtlich relevanten Art eine kostspielige, amtliche Sortenzulassung erhalten haben. Und diese ist mit erheblichen Hürden verbunden: Insbesondere müssen Sorten für die Zulassung nicht nur voneinander unterscheidbar, sondern auch homogen (in sich einheitlich) und beständig (von Generation zu Generation unveränderlich) sein. Viele alte und beliebte Gemüsesorten haben zwar noch irgendwo in der EU diese Zulassung.
Neue, vielfältige und anpassungsfähige Sorten, aber auch viele alte Sorten, die nach Auslaufen der Sortenzulassung neu zugelassen werden müssten, scheitern aber an diesen Hürden. Neben der Regelzulassung, die an der Bezeichnung EG-Norm auf unseren Saatguttüten erkennbar ist, gibt es zwar als vereinfachte Zulassungsform sogenannte Erhaltungssorten, doch ist diese an ein kompliziertes Höchstmengenregelungssystem und an Ursprungs- und Vermarktungsregionen gebunden und für uns unbrauchbar.
Einen gewissen Ausweg für Gemüsesorten bieten schließlich Zulassungen als Amateursorten. Bei diesen gelten keine generellen Mengenbeschränkungen, sondern lediglich Packungsobergrenzen. Daher kann Dreschflegel diesen Weg mittlerweile bei etlichen Sorten beschreiten; dies ist dann auf unseren Saatguttüten angegeben.
Die problematischen Homogenitätsanforderungen gelten grundsätzlich aber auch hier, weshalb vielfältigen Sorten, wie z.B. der Steirischen Käferbohne oder sogenannten Populationssorten (siehe Saaten & Taten 2017: S. 128), diese Möglichkeit nicht ohne weiteres offen steht.
Auf ganz anderem Gebiet, nämlich dem der Pflanzengesundheit, entsteht parallel zum Saatgutrecht seit Jahren ein wachsendes, umfangreiches Regelwerk. Dies verlangt von Saatgutgärtner*innen nicht nur immer spezifischeres Wissen, sondern ist auch mit zusätzlichen bürokratischen und dokumentarischen Pflichten verbunden.
Jegliches Pflanzgut sowie Saatgut von etlichen Arten wie beispielsweise Paprika, Tomaten, Bohnen und Zwiebeln müssen wir mit Pflanzenpässen versehen, die auf unseren Rechnungen ausgedruckt sind. Der steigende Aufwand sowie die nicht unerheblichen Kosten für Laboranalysen in diesem Zusammenhang könnten die Saatgutarbeit von Erhaltungsinitiativen und kleinen Saatguterzeuger*innen künftig massiv erschweren oder ernstlich infrage stellen, falls hier keine geeigneten Ausnahmeregelungen etabliert werden.
2012 hatte die EU-Kommission eine Neuordnung des Saatgutrechts geplant, die bestehende Nischen und Hoffnungen auf Verbesserungen zugunsten von Vielfalt und Ökologie zerstört hätte. Nach großem aufklärerischem Einsatz europäischer Saatgutinitiativen wurde der Kommissionsvorschlag 2014 vom Europaparlament abgelehnt. Wie das Saatgutrecht aus unserer Sicht sinnvoll gestaltet werden könnte, haben wir damals in einer Stellungnahme an die EU-Kommission dargelegt (Saaten &Taten 2015: S. 128)), die wir auch weiterhin so vertreten.
Seit gut zwei Jahren läuft nun erneut ein Reformprozess des EU-Saatgutrechts, der zunächst mehr öffentliche Beteiligung und Transparenz sowie die Berücksichtigung der Vielfaltsinteressen zu versprechen scheint.
Neben der seit 2022 durch die EU-Bio-Verordung möglich gewordenen Vermarktung von heterogenem Material und Sorten aus ökologischer Züchtung könnten auch die mögliche Nichtanwendung des Gesetzesrahmens auf Vielfaltserhalter*innen/-netzwerke und/oder die vereinfachte Zulassung von Sorten für den Hobbygartenbereich die Vermarktung unserer bisher nicht zulassungsfähigen Sorten vereinfachen.
Als problematisch beurteilen wir dagegen z.B. eine starke Vereinheitlichung ohne nationale Anpassungsmöglichkeiten durch Fassung als unmittelbar geltende EU-Verordnung statt wie bisher als Richtlinien, sowie eine Privatisierung staatlicher Kontroll- und Prüfungsaufgaben und Sortenbeschreibungen mit Einsatz molekularer Marker.
Und: Ist es zukunftsweisend, vielfaltsfördernde Regelungen als Ausnahme auf (Öko-)Nischen zu beschränken, aber auf den großen Agrarproduktionsflächen geht es mit Sorten- und Vielfaltsverlust weiter wie bisher?
Obwohl in den veröffentlichten Optionen viele Aspekte und Varianten einer neuen Saatgutgesetzgebung skizziert werden, bleibt die konkrete Ausgestaltung bisher noch eine black box. Es muss sich noch zeigen, ob die Kommission tatsächlich Ausnahmen oder vereinfachte Zulassungsbedingungen ermöglichen wird und wenn ja, wie diese dann im Detail aussehen werden. Oder ob sich die Lobbyist*innen der konventionellen Agrar- und Saatgutindustrie mit ihren Forderungen nach strikten, einheitlichen Reglementierungen für jegliche Art von Saatgutvermarktung und -tausch durchsetzen werden.
Im Austausch mit anderen Saatgut-Initiativen und -Aktivist*innen verfolgen wir den Reformprozess intensiv mit und hoffen, dazu beitragen zu können, dass in den neuen Regelungen die Dringlichkeit von Erhalt und Förderung der Kulturpflanzenvielfalt angemessen berücksichtigt wird. Ein erster Gesetzentwurf der EU-Kommission wird zum Frühjahr 2023 erwartet.
Einstweilen können wir Freie Sorten, die keine Zulassung haben, nur zur nicht gewerblichen, rein privaten Verwendung abgeben. Diese Sorten sind in Saaten & Taten mit Q gekennzeichnet. Das Geld für das Saatgut dieser Sorten geht an den gemeinnützigen Dreschflegel e.V., der damit Erhaltungsaktivitäten und Züchtungsarbeit fördert (siehe Saaten &Taten 2023: S. 105).